Auszeichnung Brückenbauer zwischen den Kulturen: Heidelberger Alumnus erhält Bundesverdienstkreuz

Mit gerade einmal elf Jahren kommt Paulino Miguel aus Mosambik nach Deutschland – ganz allein, ohne Familie, Sprachenkenntnisse und ohne soziale und kulturelle Einbettung. Ein langer und steiniger Weg liegt hinter dem heute 54-Jährigen: Von einer Ausbildung als Schlosser arbeitete er sich hoch zum Abschluss eines Studiums an der Ruperto Carola. Seit Jahrzehnten setzt sich der Heidelberger Alumnus mit großem Engagement für das gesellschaftliche Miteinander ein und für die Teilhabe von Migrantinnen und Migranten, die neu nach Deutschland kommen. Seine besonderen Verdienste als Brückenbauer für interkulturelles Zusammenleben sind nun mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.

In den 1980er Jahren verlässt Paulino Miguel sein Dorf im Mosambik. Als einer von gut 21.000 jungen Menschen wird er im Rahmen eines zwischenstaatlichen Abkommens in die DDR geschickt. Seine Hoffnung ist es, hier in die Schule gehen und einen höheren Bildungsabschluss erwerben zu können – etwas, das ihm in seiner Heimat nicht möglich ist. Zwar darf er in der DDR zunächst die „Schule der Freundschaft“ in der kleinen Industriestadt Staßfurt besuchen, aber nur im Rahmen einer Ausbildung als Instandhaltungsmechaniker. Mit 18 Jahren beginnt für ihn der harte Alltag als Vertragsarbeiter im Metallgusswerk Wernigerode. Ein strenger Umgangston, rigide Arbeitsbedingungen und rassistische Übergriffe sind hier an der Tagesordnung. „In der DDR sollten wir zu neuen Menschen erzogen werden,“ erinnert sich Miguel. „Die Vorstellungen und Wünsche des Einzelnen hatten da keinen Platz.“

Paulino José Miguel mit seinem ehemaligen Doktorvater

Mit der Wiedervereinigung sieht der damals 20-Jährige die Chance, endlich seinen Traum zu realisieren: Mit vollem Eifer wirft er sich in die Abendschule, um auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nachzuholen. In der Abizeitung liest er einen Beitrag über den Unistandort Heidelberg und ein neuer Traum ist geboren: Hier und nirgendwo anders möchte er studieren. Dafür rückt Paulino Miguel auch von seinem Vorhaben ab, Pharmazeut zu werden, da seine Noten nicht ausreichen, um im ersten Anlauf eine Zulassung für das Studium zu bekommen. Stattdessen schreibt er sich 1998 für den Studiengang Erziehungs- und Politikwissenschaft ein. „Eine Entscheidung, die ich nie bereut habe“, so Miguel. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihm die Beratung und Unterstützung, die er an der Universität erfährt, insbesondere durch seinen BAFÖG-Betreuer. „Das war das erste Mal, dass ich in Deutschland in meinem Sinne beraten worden bin.“

Im Rahmen seines Studiums beschäftigt sich Paulino Miguel mit der Geschichte der Gastarbeiter in Westdeutschland und den Problemen, mit denen diese konfrontiert waren. Ihn inspiriert, wie sich die Gastarbeiter früh Räume in der Gesellschaft erkämpft haben. „Uns Vertragsarbeitern in der DDR war das nicht möglich. Wir mussten an erster Stelle funktionieren. Schon eine einfache Nachfrage konnte zur Ausweisung führen.“ Gemeinsam mit anderen Studierenden gründet er den Verein Afrikanischer Studierender an der Universität Heidelberg (VASUH), der Studentinnen und Studenten aus afrikanischen Ländern unterstützt und den interkulturellen Austausch fördert. Dies sind die Anfänge seines anhaltenden Engagements für die Stärkung des gesellschaftlichen Miteinanders und der Demokratie.

Hauptamtlich leitet Paulino Miguel seit 2007 beim Verein „Forum der Kulturen Stuttgart" den Bereich Migration und Entwicklungspolitik. Er ist Repräsentant der migrantischen Organisationen im Rat der Entwicklungszusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg und Mitglied im 16-köpfigen Migrationsbeirat der Stadt Heidelberg. Darüber hinaus leitet er bundesweit Seminare zum Thema Entwicklungsarbeit, vernetzt und unterstützt migrantische Vereine oder hält Vorträge in Schulklassen – all das weit über das übliche berufliche Maß hinaus. Sein besonderes Anliegen ist es, migrantisches Engagement in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Das Bundesverdienstkreuz nehme er daher auch stellvertretend für all die Migrantinnen und Migranten entgegen, die sich täglich für das Gemeinwohl einsetzten, so Paulino Miguel bei der feierlichen Überreichung des Ordens im Februar 2025 in Heidelberg. Die Auszeichnung ist dem zweifachen Familienvater Ansporn, für eine gerechte und solidarische Welt weiterzuarbeiten. „Migranten leisten einen enormen Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaft“, betont er.

Der Ruperto Carola fühlt sich der 54-Jährige bis heute eng verbunden. Im Jahr 2012 begann er neben Beruf und ehrenamtlichem Engagement eine Promotion bei dem emeritierten Heidelberger Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Volker Lenhart, den er bereits aus dem Studium kannte. Paulino Miguel untersucht Schulbücher aus Mosambik und forscht zu der Frage, inwiefern Schulbildung in seinem Heimatland den Frieden fördert beziehungsweise hemmt. Seit dem Tod von Prof. Lenhart im Jahr 2023 setzt er seine Dissertation bei Prof. Dr. Annette Scheunpflug an der Universität Bamberg fort.