Ruperto Carola Ringvorlesung „Freiheit?! Die Universität als Diskursraum“ – Schlüsselrolle für starke Demokratie
„Freiheit?! Die Universität als Diskursraum“ lautete das Thema der Ruperto Carola Ringvorlesung im Wintersemester 2024/25. Aus verschiedenen disziplinären Perspektiven setzten sich die geladenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Rolle von Universitäten und Wissenschaft in der Gesellschaft und in aktuellen politischen Konflikten auseinander. Konzipiert wurde die Vortragsreihe von der Sinologin Prof. Dr. Barbara Mittler und der Medienanthropologin Prof. Dr. Christiane Brosius vom Heidelberger Centrum für Transkulturelle Studien (HCTS). Für den Unispiegel Digital werfen die beiden Wissenschaftlerinnen einen Blick zurück auf acht Abende mit an- und aufregenden Vorträgen und Diskussionen.
Von Barbara Mittler und Christiane Brosius

In Deutschland ist Wissenschaftsfreiheit als Freiheit zum offenen Disput ein hohes Gut. Sie ist jedoch nicht mit Meinungsfreiheit gleichzusetzen. Im Rahmen der Ruperto Carola Ringvorlesung haben wir das komplexe Verhältnis zwischen akademischer Freiheit und Meinungsfreiheit aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und dabei auch Spannungen aufgedeckt. Die Universität schien dabei immer wieder in unterschiedlichen Facetten als Raum für Diskurs auf. Der Heidelberger Rechtswissenschaftler Ekkehard Reimer betonte in seinem Vortrag, dass die Universität kein Marktplatz der Meinungen, sondern ein Forum für rigorose wissenschaftliche Debatten sei, in dem Ideen transparent getestet, verifiziert und kontextualisiert werden.
Wenn wir nun akzeptieren, dass Forschung von Vielfalt und kritischer Auseinandersetzung lebt, spielen die Universitäten eine Schlüsselrolle bei der Förderung eines offen-kritischen Dialogs. Ein solcher verlangt jedoch mitunter auch von den Teilnehmenden, dass sie ihre „Komfortzone“ verlassen und sich auf neue Perspektiven einlassen. Wie die Politologin Saba-Nur Cheema und der Historiker und Erziehungswissenschaftler Meron Mendel am Beispiel des Nahostkonflikts diskutierten, kann Konsens dabei nicht immer das Ziel sein – manchmal müssen wir gegensätzliche Ansichten tolerieren und anerkennen, dass wir nicht immer einer Meinung sind.
Die Soziologin Gisèle Sapiro von der Ecole des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris führte in die vielfältigen Bedrohungen der akademischen Freiheit in der Welt ein – mit Beispielen aus, wie sie es nannte, „illiberalen“ und „autokratischen“ Staaten, aber auch aus heute noch als demokratisch geltenden Gemeinwesen wie den Vereinigten Staaten. Wie steht es also hier wie dort um die gesellschaftliche Verantwortung der Universitäten – etwa im Umgang mit (Gast-)Wissenschaftler:innen aus „unbequemen“ Ländern? Wie steht es um das universitäre Bekenntnis zu ethischen Grundsätzen von Gleichstellung und Diversität? Was bedeutet es, wenn bestimmte methodische Zugänge als „ideologisch“ abgetan werden und damit die Nutzung bestimmter Terminologien erheblich eingeschränkt wird? Inwiefern hilft die Wissenschaftsfreiheit, die Autonomie der Universitäten, hier Klarheit zu schaffen?
Negativbeispiele zeigen: Ein gesunder Diskursraum braucht sowohl intellektuelle als auch institutionelle Unterstützung, zumal die zeitgenössische Polarisierung unsere Prinzipien und Werte in Frage stellt. Biao Xiang vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle sprach entsprechend über die Rolle der Universität bei der Sicherung der Wissenschaftsfreiheit inmitten geopolitischer Spannungen. Und die Soziologin Eva Illouz von der Ecole des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris hob in ihrem Vortrag die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Selbstreflexion darüber hervor, wie emotionale und normative Vorurteile, insbesondere in der Identitätspolitik, akademische Debatten prägen.
Die Rolle der Hochschulen wirft auch Fragen nach Zugang, Gleichberechtigung und Diversität auf. Sind sie „Zugangsregulierer“ oder „Zugangsermöglicher“? Wie können wir Inklusion und Multiperspektivität mit der Vermeidung von erzwungener Konformität in Einklang bringen? Die Heidelberger Wirtschaftswissenschaftlerin Christiane Schwieren zeigte auf, welche Herausforderung es ist, Multiperspektivität einer Universität zu erhalten, ohne sie in isolierte „Inseln“ zu zersplittern.
Der Vortrag von Sahana Udupa – der erste Vortrag im Jahr 2025 – über die Freiheit und Unfreiheit der sozialen Medien hätte aktueller nicht sein können. Die Spannungen, die angesprochen wurden, sei es im Hinblick auf den gemeinsamen Austritt von mehr als 60 Universitäten aus der Plattform X oder die Frage, wie Kommunikationsstrukturen bereits bestimmte Herrschaftsformen und auch Ausgrenzungsprozesse stützen, waren Teil der Überlegungen der Medienethnologin von der LMU München. Sie verweisen darauf, wie wichtig Kommunikation auf sozialen Medien für Beziehungen, Austausch und den Umgang mit verschiedenen Definitionen von Wahrheitsregimen und -strategien ist.
Im letzten Vortrag der RUPERTO CAROLA RINGVORLESUNG betonte die Heidelberger Bildungswissenschaftlerin Anne Sliwka die fundamentale Bedeutung von Bildung für die Teilhabe in einer dynamischen, von globalen Umbrüchen geprägten Welt. Demnach trägt Bildung nicht nur zur Entwicklung von Wissen bei, sondern führt auch zur Aneignung von Fähigkeiten, die Menschen die ökonomische, politische, soziale und kulturelle Partizipation erlauben.
Zugang, Teilhabe, Anteilnahme, Teilen und darin auch Schaffen von Ressourcen – all das sind wichtige Elemente einer dynamischen Zivilgesellschaft, einer starken Demokratie und auch einer lebendigen Universität. Hier zeigt sich, dass wir Universität als Diskursraum für pluralisierte Wissens- und Gesellschaftsbilder verstehen können: nie „gegeben“, oft umstritten, immer komplexer betrachtet und gerade deshalb so wertvoll für die Wissenschaft!