Uwe Kräuter Der Weltbürger, der „Derrick“ nach China brachte
Kulturvermittler Uwe Kräuter gilt als der am längsten in China lebende Deutsche

Als der Heidelberger Doktorand Uwe Kräuter im Juli 1974 nach China reiste, um als einer von sehr wenigen westlichen Ausländer:innen in dem abgeschotteten Land zu arbeiten, war ein Aufenthalt von zwei Jahren geplant. Ein halbes Jahrhundert und viele Umbrüche in dem Land später gilt Kräuter als der am längsten in China lebende Deutsche. Er hat mit einer der bekanntesten chinesischen Schauspielerinnen eine Familie gegründet, ist mit vielen chinesischen Künstler:innen eng befreundet und im ganzen Land vernetzt, wurde Filmproduzent und Autor und brachte als Kulturvermittler unter anderem die Krimireihe „Derrick“ nach China, die das Deutschland-Bild vieler Chines:innen prägte. Nach 50 Jahren in China findet Uwe Kräuter das Land immer noch „enorm spannend“.

„Auch wenn das Leben in einem solchen fernen Land hin und wieder schwierig ist, wird es niemals langweilig – China ist in seiner Entwicklung so rasant und wir Ausländer haben ständig Neues zu beobachten“, erzählt der 79-Jährige. „Es ist ein wahnsinniges Erlebnis, wenn man sich immer wieder auf etwas Neues einstellen muss.“ In den fünf Jahrzehnten habe sich das Land extrem verändert, ebenso die Chines:innen selbst, die gegenüber Ausländer:innen, aber auch untereinander viel offener geworden seien. Inzwischen ist auch eine Heirat mit Ausländer:innen völlig normal – ganz anders 1983, als Uwe Kräuter seine große Liebe Shen Danping kennenlernte und sie enorme Widerstände überwinden mussten, um heiraten zu können. Heidelberg dagegen, das Uwe Kräuter noch bis 2020 mehrmals jährlich besuchte, „ist haargenau noch so, wie ich es verlassen habe“.
Dabei erlebte Uwe Kräuter Heidelberg, als die Universität eine der Hochburgen der Studentenbewegung war, denn er begann sein Studium der Soziologie, Ethnologie und Psychologie 1968. Wie viele andere engagierte er sich gegen den Vietnamkrieg und demonstrierte dabei auch im Juni 1970 gegen den früheren US-Verteidigungsminister und damaligen Weltbank-Chef Robert McNamara, als dieser an einer internationalen Konferenz in Heidelberg teilnahm. Da Kräuter und vier anderen anschließend Widerstand gegen die Staatsgewalt und Landfriedensbruch vorgeworfen wurden, folgte eine mehrjährige juristische Auseinandersetzung, in der sie vom späteren Bundesinnenminister Otto Schily und von Heidelberg-Alumnus Eberhard Kempf anwaltlich vertreten wurden und die 1975 vor dem Bundesgerichtshof mit rechtskräftigen Haftstrafen endete.

Während vier der fünf Verurteilten diese antraten, war Uwe Kräuter zu dieser Zeit bereits in China. Er sei aber nicht vor der drohenden Haft geflohen, betont er, sondern habe Ende 1973 das Angebot bekommen, als Nachfolger eines Bekannten aus der Schweiz zwei Jahre als Lektor in Chinas Verlag für fremdsprachige Literatur zu arbeiten. „Ich hatte wegen Chinas Unterstützung von Vietnam Sympathie für das Land, aber auch, weil mein Großvater, der als Seemann die halbe Welt gesehen hat, unter anderem in Shanghai war und mir viele Geschichten darüber erzählt hat.“ Schon zu Schulzeiten habe er die Welt kennenlernen wollen, so dass er sich auf das unverhofft angebotene Abenteuer einließ – obwohl China damals so weit weg schien wie ein ferner Planet.
Ihn erwartete eine fremde Welt, wie sich bereits bei den Kontakten mit dem Verlag und der chinesischen Botschaft zeigte: „Die Kommunikation war ganz anders und von großer Vorsicht und Zurückhaltung, aber auch viel Freundlichkeit geprägt.“ Diese Erfahrung setzte sich in China fort, wo Uwe Kräuter in einem Appartement im Pekinger „Freundschaftshotel“ untergebracht wurde, das in den 1950er-Jahren für Helfer aus sozialistischen Ländern erbaut wurde. Seine Kolleg:innen im Verlag, in dem er die „Peking Rundschau“ und deutsche Übersetzungen chinesischer Texte redigierte sowie ins Englische oder Französische übersetzte Texte weiter ins Deutsche übertrug, waren ebenfalls „sehr zuvorkommend und freundlich, aber zurückhaltender, als ich das aus anderen Ländern kannte, die ich bereist hatte – aber ich akzeptierte, dass die Menschen in diesem Land anders waren, ihre eigene Geschichte und eigene Ansichten hatten und selbstverständlich nicht so sein und denken mussten, wie wir es in unseren jeweiligen Ländern gewohnt waren“.
Dass Uwe Kräuter nach den ursprünglich geplanten zwei Jahren in China blieb, hatte maßgeblich mit dem Ende der Kulturrevolution 1976 zu tun, mit dem viele verbannte oder inhaftierte Künstler:innen zurückkehrten: „Sie waren sehr daran interessiert, jemanden aus dem Westen kennenzulernen, so dass ich zahlreiche wunderbare Menschen traf, die kulturell enorm bereichernd für mich waren und zu engen Freunden wurden.“ Kräuter erlebte zwar auch schwierige Zeiten, aber ihn faszinierten das Land und seine Menschen, so dass er auch nach der Verjährung seiner Haftstrafe in China blieb und mit Shen Danping zwei Töchter bekam.
Die Verjährung machte es möglich, dass Uwe Kräuter 1980 erstmals wieder Deutschland besuchte – gemeinsam mit dem 80-köpfigen Ensemble des Pekinger Volkskunsttheaters, das auf seine Initiative am Mannheimer Nationaltheater und in 13 weiteren deutschen Städten das fünf Jahrzehnte chinesischer Geschichte umfassende Drama „Das Teehaus“ aufführte, mit ihm als Simultandolmetscher für alle Rollen. „Dieses Projekt, bei dem erstmals ein chinesisches Drama durchs Ausland tourte, war ein riesiges Ereignis, das in Deutschland nur positive Rezensionen hervorrief und uns in China zu Helden machte“, erinnert sich Kräuter. „Es war mein erstes Kulturaustauschprojekt, dem weitere folgten.“ Er holte umgekehrt das Mannheimer Nationaltheater mit dem antifaschistischen Stück „Der Bockerer“ nach China, und produzierte Dokumentar- und Spielfilme, auch für das ZDF, das ihn schließlich fragte, ob man nicht eine TV-Serie wie „Derrick“ nach China exportieren könne. Dort war gerade die US-Serie „Hunter“ wegen zu vieler Schießereien abgesetzt worden, stattdessen flimmerte nun ab 1988 „Derrick“ über chinesische Bildschirme – mit großem Erfolg, „denn dort ging es anstelle von Waffen und Brutalität darum, die Menschen zu verstehen“, erklärt er.

So wurde Uwe Kräuter zum erfolgreichen Kulturvermittler zwischen Deutschland und China. Sein aufregendes Leben in dem Land, das sich zunehmend der Welt öffnete, schildert er in seiner Autobiographie „So ist die Revolution, mein Freund“ – der Buchtitel ist ein Zitat eines nepalesischen Freundes aus dem „Freundschaftshotel“. Seltene Einblicke in ein bis heute abgeschottetes Land, das er seit 2005 nach einer ersten zufälligen Einladung regelmäßig besucht, bietet sein aktuelles Buch „Reisen ins Unbekannte – Besuch bei den Menschen in Nordkorea“. In China bezeichnet man Uwe Kräuter als Brückenbauer, er selbst empfindet sich vor allem als Weltbürger – und ist „stolz, dass ich damals den Mut hatte, nach China zu gehen“.